Die Krux der Erfolgsmessung im Marketing
Seit jeher wollen Werbetreibende wissen, welchen Erfolg ihre Werbemaßnahmen haben. Die Messung von KPIs ist die Grundlage für Optimierung und sinnvolle Budgetverwendung. John Wanamaker, ein Ökonom und Geschäftsmann im 19. Jahrhundert und Vater der modernen Werbung, prägte den Satz:
Die Hälfte des Geldes, das ich für Werbung ausgebe, ist verschwendet. Das Problem ist, ich weiß nicht, welche Hälfte.
Mit dem Internet und der Entwicklung im Online Marketing schien das Problem von Wanamaker zunächst zumindest in Teilen gelöst zu sein. Klicks und Conversions waren gut messbar und der Erfolg jeder Werbeanzeige konnte direkt zugeordnet werden. Das ist leider Vergangenheit. Denn mit dem Aufkommen einer Vielzahl an Online-Kanälen, komplexen Customer Journeys, Blockierung von Third Party Cookies, DSGVO, Adblockern, Gerätewechseln und vielem mehr ist die Erfolgsmessung heute um ein Vielfaches schwieriger. Trotzdem ist sie unabdingbar, um Budgets sinnvoll zu verteilen, gewünschte Ziele zu erreichen und sich in einem herausfordernden Umfeld zu behaupten. Bauchgefühl und Zufall kann sich heute kein:e Werbetreibende:r erlauben.
Was ein Marketing-Mix-Modell leisten kann
Marketing Mix Modelling (MMM) ist ein statistisches Analysemodell. Es basiert auf aggregierten Werbeausgaben sowie Umsatz- bzw. Absatzzahlen und soll die optimale Allokation der zukünftigen Werbeausgaben bestimmen. Auf Basis eines Trainingsdatensatzes wird ein Modell erstellt, das die optimale Verteilung des zukünftigen Marketing-Budgets auf die einzelnen Kanäle ermittelt. Die Effekte verschiedener Marketing-Aktivitäten sowie externer Einflüsse auf die Zielkennzahl fließen in das Modell ein.
Ein großer Vorteil des Modells ist, dass keine personenbezogenen Daten benötigt werden. Somit wird allen Diskussionen um Third-Party und First Party Cookies aus dem Weg gegangen. Alle erforderlichen Daten, wie die vergangenen Werbeausgaben und erwirtschafteten Umsatzzahlen liegen vollständig im Unternehmen vor.
Besonders die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Kanälen sowie versteckte Effekte können durch MMM ermittelt werden, beispielsweise können sich Kanäle, denen nur wenige direkte Conversions zugeschrieben wurden, als sehr einflussreich erweisen.
Praxisbeispiel Marketing Mix Modelling
Das Marketing Mix Modelling ist ein iterativer Prozess. Nach der Datenanalyse und Optimierung folgen zunächst die Überprüfung des Modells sowie Anpassung an die neue Datenlage. Der Modellzyklus wird fortlaufend korrigiert und den Gegebenheiten angepasst. Die Häufigkeit der Überprüfung und Anpassung hängt vom Kunden, seinen Voraussetzungen und Zielen ab.
Anhand eines realen Beispiels beleuchten wir die einzelnen Schritte im Detail. Das Unternehmen, ein Hersteller im Fashionsektor, vertreibt seine Produkte sowohl offline als auch online, auf verschiedenen digitalen Marktplätzen und im eigenen Online Shop. Analysiert wurden in diesem speziellen Case jedoch lediglich die Online-Umsätze und -Werbeausgaben, begleitende Offline-Maßnahmen blieben unberücksichtigt.
Zielsetzung
Beim Marketing Mix Modelling geht es um das Verständnis der Wirksamkeit der Werbung, ihrer Effizienz sowie daraus abgeleitet der optimalen Budgetallokation. Der Werbetreibende muss jedoch festlegen, bezogen auf welche Zielkennzahl diese Wechselwirkung analysiert werden soll. In der Regel, auch in unserem Praxisbeispiel, ist diese Zielkennzahl der Umsatz.
Erfassung der Ausgangslage
Eine gründliche Erfassung der Ausgangslage und Sammlung aller relevanten Daten ist die Basis für eine aussagekräftige Modellierung. Der Zeitraum der Datenerhebung sollte so lang wie möglich sein, idealerweise mehr als zwei Jahre. In unserem Beispiel betrug der Erhebungszeitraum jedoch lediglich 22 Monate.
Die erfassten Daten, Umsatz und alle Marketingkosten, sind in unserem Fall detailliert nach Kanälen aufgeschlüsselt. Bezüglich der Marketingkosten standen die Daten getrennt nach Google Ads, Microsoft Ads, Paid Social und einem Sonderbudget, genannt Brand digital zur Verfügung. Der Hauptanteil lag auf Google Ads, weshalb dieser Ausgabeblock aufgesplittet wurde in Brand, generic und Shopping. Neben den konkreten Ausgaben für diese Werbekanäle lagen auch Zahlen zur unmittelbaren Werbereichweite, d.h. den Klickzahlen, vor. Zusätzlich wurden Marketing-Maßnahmen ohne Kosten wie Newsletter und deren Empfänger:innenzahlen erfasst. Im Idealfall stehen dem Modell sämtliche Marketing-Ausgaben zur Verfügung, auch von offline Marketing-Maßnahmen wie Print, Radio/TV bis hin zu ooH. Dies war allerdings im konkreten Fall nicht möglich und die Analyse berücksichtigte ausschließlich online Marketing-Maßnahmen.
Begleitende Informationen aus dem Unternehmen, die im Praxiscase ebenfalls gesammelt wurden, waren Promotion-Aktionen und die entsprechende Preispolitik zum jeweiligen Zeitpunkt.
Neben den Marketing-Faktoren betrachten wir auch Kontextfaktoren, welche das Werbeumfeld abbilden sollen. Zur Anreicherung wurden in unserem Fall Ergebnisse der Google-Trendanalyse zur Kernkategorie ebenso erfasst wie die wirtschaftliche Entwicklung, Sales Perioden und die Sichtbarkeit in der organischen Suche.
Schlussendlich gilt es, so viele Daten wie möglich zu sammeln, damit das Modell eine gute Basis hat und die übrigen, nicht berücksichtigten Einflussfaktoren eine verschwindend geringe Auswirkung haben.
Modellierung
Der gesammelte Berg an Informationen unterschiedlichster Quellen muss nun vergleichbar und analysierbar gemacht werden. Hierzu müssen die Datenformate angeglichen und die Daten in ein gängiges Zeitreihenformat gebracht werden. In dem Praxis-Case werden die Daten auf Wochenebene aggregiert.
In einem ersten Schritt schätzt der Algorithmus die Einflussstärke der einzelnen im Modell hinterlegten Faktoren. Zur Beurteilung der Modellgüte wird vor allem die statistische Kennzahl R2 herangezogen, wobei alle Werte über 0.8 als gut gelten. In unserem konkreten Fall lag die Kennzahl bei 0.85. Der Modellfit kann auch anhand einer Grafik verdeutlicht werden. In der Abbildung 1 werden die tatsächlichen wöchentlichen Umsatzzahlen (orange) den vom Modell geschätzten Umsatzzahlen (blau gestrichelt) gegenübergestellt. Da die vom Modell geschätzte blaue Linie über weite Strecken des zeitlichen Verlaufs der Linie der tatsächlichen Umsatzzahlen folgt, kann man davon ausgehen, dass das Modell funktioniert.
Analysephase
Darüber hinaus werden im ersten Schritt auch die spezifischen Effekte der einzelnen Werbekanäle ermittelt und Ihre Effektivität bezüglich des eingesetzten Werbebudgets abgeschätzt. In unserem Fall ergaben sich unter anderem bei Paid Social und Google Ads Shopping große Diskrepanzen zwischen ihrem Ausgabenanteil und den diesen Kanälen zugeschriebenen Werbeeffekten (Abbildung 2). Paid Social hat einen wesentlich höheren Nutzen, als es Kosten verursacht hat. Bei Google Ads Shopping ist das Gegenteil der Fall, die Kosten übersteigen deutlich seinen Nutzen.
Empfehlung
Aus dem erstellten Modell können jetzt in einem zweiten Analyseschritt konkrete Optimierungen für die Allokation des Werbe-Budgets abgeleitet werden. Wie sollte die Budgetverteilung geändert werden, um die eigentliche Zielgröße, den Umsatz, zu maximieren? Diese Optimierungsmodelle lassen sich für verschiedene Budgethöhen durchspielen. Auch die Budgetvarianz der einzelnen Kanäle kann begrenzt werden, um die Akzeptanz der Veränderungen im Entscheidungsgremium zu erhöhen.
Nehmen wir in Abbildung 3 unser Praxisbeispiel. Die grauen Balken stehen für die tatsächlich während des Analysezeitraums erfolgten Kosten und Umsätze. Der hellorange Block zeigt, wie sich Umsätze für den Fall entwickeln könnten, wenn bei gleichen Kosten die Ausgaben in den Kanälen um 20 Prozent nach oben oder unten abweichen können. Der dritte Block schließlich zeigt die Umsätze bei einer erlaubten Abweichung von 60 Prozent. Bei unverändertem Budget lassen sich folglich signifikante Umsatzsteigerungen von 17 Prozent realisieren, nur durch veränderte Budgetallokation innerhalb der Marketing-Kanäle.
Das Maß der empfohlenen Veränderung wird für jeden Kanal einzeln aufgelistet. Beispielsweise entfielen im Praxi-Case 4,4 Prozent der Kosten auf den Kanal Paid Social und sorgten für 10,5 Prozent der Umsätze. Bei einer erlaubten Varianz von bis zu 60 Prozent steigen die Ausgaben auf 7 Prozent des Marketingbudgets und sind für 10,3 Prozent eines sehr viel höheren Umsatzes verantwortlich.
Wer kann vom Marketing Mix Modelling profitieren?
In diesem Praxisbeispiel sind die Ergebnisse sehr eindrücklich. Das Modell hat sich bewährt und zeigt für die Zukunft enormes Verbesserungspotenzial auf, indem die Kanäle unterschiedlich bespielt werden. Damit der Erfolg durch Marketing-Mix-Modelle so klar ermittelt werden kann, sind einige Voraussetzungen nötig. Die Quantität an Daten muss sehr hoch sein, es müssen viele Transaktionen vorliegen und mehrere Marketing-Kanäle im Einsatz sein. Auch der Zeitraum der Betrachtung sollte möglichst lange sein, idealerweise mehr als zwei Jahre.
Je geringer und je schlechter die Datenlage, desto ungenauer wird das Modell sein. Für Unternehmen mit geringen Stückzahlen und Fokus auf wenige Kund:innen wird ein Marketing-Mix-Modell nicht geeignet sein. Auch kleine Online Shops müssen sich überlegen, ob die Datenlage ausreicht und genug Spielraum für Optimierungen vorliegt. Aussagekräftige Ergebnisse können Hersteller:innen und Shops erreichen, die hohe Transaktionszahlen verzeichnen, womöglich mehrere Vertriebskanäle betreiben und große Marketing-Budgets in mehreren Kanälen einsetzen.
Mehr Effizienz im Marketing-Mix mit sinnvoller Analyse
Die Aussagen eines Marketing-Mix-Modells sind überprüfbar, konkret und messbar. Bei der Komplexität der heutigen Customer Journey, der Vielfältigkeit der Marketing-Kanäle und der sinkenden Verfügbarkeit an personalisierten Daten ist ein perfektes Planungs- und Analyse-Tool dringend nötig. Nur so lässt sich die Effizienz der Werbeausgaben insgesamt steigern und ungenutzte Potenziale werden sichtbar. Voraussetzung für ein aussagekräftiges Modell ist die umfangreiche und sorgfältige Datensammlung und -analyse. Sind diese Hausaufgaben gemacht, dann liefern Marketing-Mix-Modelle konkrete Hilfestellungen für zielorientiertes Marketing und sind eine Quelle für Wettbewerbsvorteile. Sie geben zumindest annähernd die Antwort auf die Frage von John Wanaker, welche Hälfte des Marketing-Budgets bisher verschwendet wurde bzw. sorgen dafür, dass auch diese Hälfte gewinnbringend zum Einsatz kommt.
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