Fast 50 Jahre lang bestand in den USA eine bundesweite Regelung für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis zur 24. Schwangerschaftswoche. Jetzt hat der Supreme Court dieses gekippt, was zur Folge hat, dass wieder die Gesetze der einzelnen Bundesstaaten gelten. Vor allem in konservativen, von den Republikaner:innen geführten Staaten werden Abtreibungen aller Wahrscheinlichkeit nach illegal werden, vereinzelt sogar in Fällen von Inzest und Vergewaltigung. Es wird erwartet, dass 26 und damit etwa die Hälfte der 50 Bundesstaaten Abtreibungen verbieten oder zumindest stark einschränken könnten. In Deutschland hingegen hat der Bundestag kürzlich mit breiter Mehrheit die Abschaffung von Paragraf 219a beschlossen. Er regelte zuvor das Verbot, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben.

Neben der Verletzung der Frauenrechte bedeutet der Wegfall legaler, medizinisch sicherer Wege für Abtreibungen auch, dass Schwangerschaftsabbrüche vermehrt unter riskanten Bedingungen statt gar nicht stattfinden werden. Die Optionen, Informationen und Möglichkeiten zum Thema online zu finden, nimmt in diesem Kontext eine besondere Rolle ein.

Dürfen Staaten Online-Aufzeichnungen für die Strafverfolgung nutzen?

Befürworter:innen der Möglichkeit auf legale Abtreibung haben sich unmittelbar nach dem Urteil auf Überwachungsfragen konzentriert, da Sorge besteht, dass einige Staaten Online-Aufzeichnungen für die Strafverfolgung verwenden könnten. Denn auch Plattformen und Aktivist:innen könnten sich, sofern sie Abtreibungsinformationen online bereitstellen, strafbar machen. In Texas beispielsweise gelten schon jetzt sowohl Abtreibungsverbote als auch Strafen für „Unterstützer:innen“.

Welche Apps und Internet-Dienste sind betroffen?

The Appeal hat herausgefunden, dass das National Right to Life Committee (NRLC) eine Mustergesetzgebung präsentiert hat, die das Anbieten von „Anweisungen über das Telefon, das Internet oder andere Kommunikationsmedien“ oder „das Hosten oder Pflegen einer Website oder Bereitstellung von Internetdiensten, die Bemühungen um eine illegale Abtreibung fördern oder erleichtern“ bestrafen sollen. Websites wie Plan C, die detaillierte Informationen über selbstverwaltete Abtreibungen bieten, könnten sich demnach strafbar machen. Befürworter:innen der Bürger:innenrechte halten dies für verfassungswidrig. Jameel Jaffer, Executive Director des Knight First Amendment Institute, erklärt:

 This kind of legislation raises serious First Amendment concerns. We intend to consider challenging any legislation that uses today’s Supreme Court decision as a justification for new limitations on protected speech, or new forms of surveillance.

Jennifer Granick, Beraterin für Überwachung und Cybersicherheit bei American Civil Liberties Union, sagt:

Explaining what abortion is, where you can get one, advocating for a person’s right or ability to get an abortion — all these things are general truthful information that cannot be prosecuted without violating the First Amendment. The risk is that prosecutors will take those private conversations where people are exchanging information and try to cast those as criminal encounters. And that will be something that we’re going to probably end up having to fight.

Auch Gesundheits-Apps, etwa zum Tracken der Periode, sind betroffen. „Löscht jetzt eure Perioden-Tracker-Apps!“, ist eine seit kurzem eine oft geteilte Warnung im Netz. Behörden können die in den Apps hinterlegten Daten vor Gericht nutzen, um etwa zu belegen, dass jemand schwanger war.

Abschnitt 230 des Communications Decency Act nimmt Facebook und Co. bislang aus der Verantwortung bei der Verletzung von Landesgesetzen im Netz

Zwar sind Aktivist:innen und Gesundheitsdienstleister:innen motiviert, für das Recht, eine ungewollte Schwangerschaft beenden zu lassen, zu kämpfen. Doch inwiefern digitale Plattformen ebenso dazu bereit sind, ist fraglich.

Gegner:innen der legalen Abtreibung könnten jedes Unternehmen, das abtreibungsbezogene Kommunikationen zulässt oder Informationen bereitstellt, anklagen. Ebenso die Frage nach Infrastrukturanbieter:innen wie Content Delivery Networks (CDNs), die entscheidende logistische Unterstützung für unabhängige Websites bieten, können in das Visier der Anti-Antreibungs-Verfechter:innen geraten. Auch soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram sowie Entertainment- oder Video-Streaming-Plattformen wie TikTok und YouTube sind betroffen. Heutzutage ist es gerade hier besonders einfach, mit Abtreibungssuchenden in Kontakt zu treten.

Derzeit haben Social- und Video-Plattformen eine einfache Antwort auf Bedrohungen dieser Art: Abschnitt 230 des Communications Decency Act. Dieser bewahrt Apps und Websites davor, als „Herausgeber:innen“ oder „Sprecher:innen“ von nutzer:innengenerierten Inhalten betrachtet zu werden und schützt sie vor der Haftung für deren Hosting. Im Gegensatz zu einer First-Amendment-Verteidigung muss nicht darüber debattiert werden, ob der betreffende Inhalt illegal ist, wodurch die rechtliche Belastung durch Klagen verringert wird. Es gibt lediglich eine Ausnahme für Verhaltensweisen im Netz, die gegen das Bundesstrafrecht, aber nicht gegen Landesgesetze verstoßen. Granick erklärt:

The thing about Section 230 is you don’t have to demonstrate that it’s First Amendment protected speech, which can take a long, long time sometimes in litigation.

Kritik an Abschnitt 230

Doch dieser Abschnitt 230 ist sowohl bei Republikaner:innen als auch Demokrat:innen gleichermaßen bemängelt worden. Kritiker:innen von Abschnitt 230 haben echte Fälle von Websites angeführt, die diesen verwenden, um sich der Verantwortung für die Förderung von nicht einvernehmlicher Pornografie oder diffamierenden Lügen zu entziehen. 

Jetzt könnten die Bestrebungen, Abschnitt 230 abzuschaffen, auch die Beschaffung von Informationen über Abtreibung erschweren – obwohl dies offensichtlich nicht das Ziel war. In Texas und Florida beispielsweise wurden bereits zuvor Gesetze verabschiedet, die besagen, dass Abschnitt 230 Staaten nicht daran hindern sollen, eigene Regelungen zur Moderation von Inhalten umzusetzen, etwa um Informationen über Abtreibungen zu verbieten.

Der Direktor von Fight for the Future, Evan Greer, sagt, der Tod von Roe fügt den aktuellen Vorschlägen gefährliche Nebenwirkungen hinzu:

Even well-intentioned changes to Section 230, like those proposed in the SAFE TECH Act or Justice Against Malicious Algorithms Act, could unleash a wave of lawsuits from anti-abortion activists (who are already lawyered up, litigious, and highly motivated to get content about abortion access scrubbed from the internet).

Auszug der Reaktion von Tech-Unternehmen auf das Abtreibungsurteil des Supreme Court

Meta hat den Mitarbeiter:innen im Zuge des Abtreibungsverbots in den USA interne Diskussionen darüber untersagt. Der Konzern wolle „ein feindliches Arbeitsumfeld“ vermeiden, heißt es in einem Bericht der New York Times. Das Tech-Unternehmen hat schon vor zwei Jahren interne Kommunikationsrichtlinien aufgesetzt, die einige politische Gesprächsthemen untersagen. Dazu zählt auch, dass auf unternehmensweiten Kommunikationskanälen, wie etwa dem Message-Board „Workplace“, keine derartig kontroversen Themen mehr diskutiert werden dürfen.

Impulsgebend waren vorherige Konfliktdebatten unter anderem zu George Floyd, der im Mai 2020 von einem Polizisten in Minnesota während einer Festnahme getötet wurde, nachdem ein Verkäufer vermutet hatte, dass Floyd möglicherweise einen gefälschten Zwanzig-Dollar-Schein verwendet hatte.

Bei Google hingegen versendete Fiona Cicconi, Chief People Officer von Google, eine E-Mail an alle Mitarbeiter:innen, um sie über die Reaktion des Unternehmens auf das Urteil zu informieren. In dieser steht, dass es Mitarbeiter:innen freisteht individuell mit der Situation umzugehen – mit der Bitte, auf die Gefühle und Bedürfnisse der Kolleg:innen zu achten und respektvoll miteinander umzugehen.

Im Brief geht Goolge außerdem auf die Unterstützung von Mitarbeiter:innen bei medizinischen Eingriffen außerhalb den Bundesstaaten ein und spricht sich für Gerechtigkeit und Frauenrecht aus. In dem Artikel von The Verge kannst du den Brief in voller Länge lesen:

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