Die Zeiten von „One way or the other“ im Marketing sind vorbei: Zu diesem Schluss kommt die CMO der Non-Profit-Organisation Mozilla, Lindsey O’Brien, im Interview mit OnlineMarketing.de. Denn Werbung muss heutzutage verantwortungsvoll und innovativ zugleich sein. Die Menschen wünschen sich personalisierte Erfahrungen, stellen aber dennoch mehr Anforderungen an Datenschutz und Transparenz vonseiten der Marketer und Brands. Noch immer herrscht eine Say-do-Diskrepanz vor, nach der User um ihre Daten besorgt sind, diese aber im Gegenzug für passende Leistungen und Produkte freigiebig abtreten. Doch Marketer können sich nicht auf den Fortbestand dieser Datenweitergabe verlassen, denn insbesondere die Gen Z, da ist sich O’Brien sicher, setzt auf Datenschutz als wichtiges Gut im Digitalraum. Eine neue Milliardenstrafe für Meta, die auf Datenschutzverstößte zurückgeht, untermauert die Relevanz dieses Aspekts.

Übergeordnete Zäsuren wie die DSGVO oder das angekündigte Support-Ende für Third Party Cookies bei Google Chrome zwingen Advertiser schon jetzt zum Umdenken, während auch die Faktoren Brand Safety und Brand Suitability auf von Fake News und Hate Speech kaum verschonten Social-Media-Plattformen an Gewicht gewinnen. Auf der OMR-Bühne sprach Lindsey O’Brien unter dem Titel „Die Power von verantwortungsvollem Marketing: Ein besseres Internet durch Transparenz, Innovation und Menschen an erster Stelle“ bereits über den Wert, den datenschutzzentrierte Lösungen für die Digitalgesellschaft haben können – insbesondere Lösungen in einem Open-Source-Kontext, wie sie die NPO Mozilla in diversen Bereichen fördert.

Dabei forderte sie die Marketing-Verantwortlichen auch dazu auf, mehr Initiative beim verantwortungsbewussten Lenken ihrer Teams und Unternehmen zu zeigen, um ein sichereres und bereichernderes Internet für alle zu schaffen. Das gilt dieser Tage im Speziellen auch für den Einsatz revolutionärer KI-Tools und das Werben auf Plattformen, die Meinungsfreiheit mit einem Mangel an Moderation diskriminierender oder schlichtweg gefährlicher Inhalte gleichzusetzen scheinen.

Mozilla fördert verantwortungsbewusste KI-Lösungen im Open-Source-Kontext

Lindsey O’Brien war eine der vielen Fachkräfte, die auf dem OMR Festival 2023 über die potentialreichen, aber auch beängstigenden KI-Entwicklungen großer Tech-Konzerne sprachen.

Dabei liefert Mozilla als NPO eine Perspektive, die Alphabet, Meta, Microsoft und Co. nicht bieten können. Mit Mozilla.ai stellt die Organisation inzwischen eine Open-Source-Alternative für die vertrauenswürdige Entwicklung von Tools mit Künstlicher Intelligenz zur Verfügung. Die Vision des Startups, in welches Mozilla 30 Millionen US-Dollar investiert, ist es, die Entwicklung vertrauenswürdiger KI-Produkte zu vereinfachen. Auf dem Blog heißt es dazu:

Mozilla.ai’s initial focus? Tools that make generative AI safer and more transparent. And, people-centric recommendation systems that don’t misinform or undermine our well-being.

Desinformationen und die Unterminierung von Positivität erleben Millionen von Usern täglich auch auf Social- und Entertainment-Plattformen. Deshalb geht Mozilla einen besonderen Weg und hat eine eigene Mastodon-Instanz vorgestellt, die die eigene Moderation von Content sowie eine wertezentrierte Social-Erfahrung ermöglichen soll. Denn laut Mozillas Steve Teixeira sind Social Media „broken“ – und Mozilla möchte sich nicht hinter dem Begriff der Neutralität verstecken, sondern eine klare Haltung einnehmen. Auf all diese Entwicklungen geht Lindsey O’Brien im Interview ein und erklärt unter anderem, warum diese Haltung künftig so wichtig ist, wieso Marketer sich für bestimmte Marketing-Praktiken entscheiden müssen und welche Rolle Gen Z dabei spielt.

Das Interview

OnlineMarketing.de: Alle reden seit Jahren über datenschutzfreundliche Marketing-Lösungen und Kommunikation. Die Verzögerung des Support-Endes für Third Party Cookies bei Chrome, Rekordstrafen für große Technologieunternehmen aufgrund von Datenschutzverstößen und ein Mangel an Transparenz hinsichtlich des Daten-Sharing sind nur einige Rückschläge für dieses hehre Ziel. Welche aktuelle Entwicklung lässt dich trotzdem daran glauben, dass wir diesem Ziel näher kommen?

Lindsey O’Brien: Ich denke, dass eine Menge Arbeit in wichtigen Räume wie hier [auf dem OMR Festival] diskutiert wird. Menschen sind inzwischen besser über technologische Entwicklungen informiert. Und ich denke, das wird noch deutlicher, wenn wir anfangen, die Generation Z zu betrachten, und deren Anforderung an Erfahrungen. Und ich denke, dass der richtige Umgang mit dem Datenschutz als wichtiger Faktor in die Trends und Erwartungen, die diese Generation hat, hineinspielt.

Glaubst du, dass die älteren Menschen, älter als die Gen Z, die die derzeit oft die Macht haben, Dinge auf C-Level-Ebene zu ändern, sich das User-Verhalten der Jüngeren noch genauer ansehen müssen?

Nun, wenn man darüber nachdenkt, was Veränderungen beeinflusst, geht es wirklich darum, wie die Produkte genutzt werden, wie die Nachfrage aussieht, was die Leute wirklich erwarten. Damit sich also große Unternehmen, vor allem große Technologieunternehmen, verändern können, muss es eine Nachfrage geben. Und ja, ich sehe die Generation Z als einen großen Treiber für diese Erwartung nach Veränderung. Wenn es um Dinge wie zum Beispiel den Datenschutz geht, ist das etwas, das meine Generation, die Generation X, die nicht mit dem Internet aufgewachsen ist, noch nicht hatte. Wir mussten uns die Idee der Privatsphäre selbst zusammenschustern, als wir lernten, wie man das Internet nutzt.

Aber die jüngere Generation ist damit aufgewachsen, und deshalb gibt es eine andere Erwartungshaltung in Bezug auf die Frage, was diese Veränderung bewirken wird. Ich denke, es geht darum, dass die Leute wirklich aufstehen und Alternativen anbieten, die Sinn ergeben. Denn die Wahrheit ist: Wir bei Mozilla glauben, ich glaube, dass man ein erfolgreiches Unternehmen haben kann, man kann erfolgreiche Marketing-Kampagnen durchführen, ohne Data Mining zu betreiben. Aber was wir brauchen, sind mehr Leute wie wir, die aufstehen und darüber sprechen und den Leuten Beispiele geben, wie man das machen kann. Und ich denke, wenn man die Fähigkeit, ein erfolgreiches Geschäft zu führen, mit einem echten Bedürfnis der Verbraucher:innen verbindet, dann ergibt es keinen Sinn, sich nicht zu verändern, weil sich alles in diese Richtung entwickelt.

Du hast erwähnt, dass es mehr Aufklärung braucht, von Unternehmen oder Organisationen wie Mozilla. Wir erleben gerade eine große Disruption mit dem Aufstieg der generativen KI. Das war ein Thema in den vergangenen Monaten und heute. Der Aufstieg der Gen AI Tools wie ChatGPT hat einen neuen Kanal hervorgebracht, der eine Menge Daten sammelt, und das war und ist schon ein Problem in der EU. Mozilla versucht, mit Mozilla.ai in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Ihr möchtet den Menschen helfen, eine vertrauenswürdige KI-Umgebung und vertrauenswürdige Produkte zu entwickeln. Ist das Startup Mozilla.ai weniger als Konkurrenz, sondern mehr als Inkubator für die Branche der techaffinen Industrie gedacht?

Ich denke schon. Das Phänomen, das gerade stattfindet, ist wirklich aufregend. Ich meine, ich habe so viel Spaß mit diesen Produkten, und es ist wirklich interessant, damit herumzuspielen, und ich glaube, es gibt eine enorme Menge an vielversprechenden Möglichkeiten in diesem Bereich.

Aber das Problem ist, dass die gleichen alten Akteur:innen auf den Plan treten und anfangen, sich die gesamte Aufmerksamkeit zu sichern und die Art und Weise, wie sie sich entwickeln, zu kontrollieren. Und das ist nicht gut. Wir werden dann wieder am gleichen Ausgangspunkt landen wie bei anderen Entwicklungen auch. Bei Mozilla verfolgen wir also einen anderen Ansatz, der ganz im Sinne von Mozilla ist, und es geht weniger darum, wie wir etwas bauen können, das wir nutzen und mit dem wir Geld verdienen können, sondern vielmehr darum, wie wir die Branche und das gesamte Ökosystem dazu ermutigen können, von Grund auf anders darüber zu denken.

Wir stehen also noch ganz am Anfang, aber es geht alles sehr, sehr schnell. Ich meine, es scheint so, als gäbe es jede Woche irgendeine neue, unglaubliche, Weiterentwicklung von KI. Es ist erstaunlich, was die KI alles kann. Wir versuchen also, eine Plattform zu schaffen, um zu sagen: Hey, Time-out, wir müssen das auf eine Art und Weise aufbauen, die nachhaltig ist und die Privatsphäre der Menschen respektiert und die Menschen nicht über den Tisch zieht.

Daran arbeiten wir bei Mozilla, aber wir wollen auch, dass andere Leute daran arbeiten. Wir sind im Allgemeinen sehr für Wettbewerb. Außerdem ist es wichtig, dass wir helfen, diese Ideen da draußen zu sehen. Wir haben einen Wettbewerb, der gerade jetzt läuft, als Teil von Mozilla. Es ist ein ethischer KI-Wettbewerb. Wir haben Menschen aus der ganzen Welt gebeten, ihre Ideen für verschiedene Dinge einzureichen, die man bauen könnte, um einen besseren, ethischeren Ort für KI zu schaffen. Und wir hatten hunderte von Einsendungen von Leuten aus der ganzen Welt, die einfach nur einen Ort suchten, um diese Ideen zum Leben zu erwecken. Und das ist es, wofür wir in der Welt da sind, nämlich diese Art von Entwicklung und Innovation zu fördern.

Was ist aus deiner Sicht ist der größte Vorteil von Mozilla AI im Vergleich zu anderen florierenden KI-Systemen im Moment?

Ich denke, das sind einige Dinge. Erstens ist Mozillas Vorteil im Allgemeinen die Tatsache, dass wir im Besitz einer gemeinnützigen Organisation sind. Wir sind nicht den Aktionär:innen verpflichtet, richtig? Wir können also Entscheidungen auf der Grundlage dessen treffen, was unserer Meinung nach im besten Interesse der Menschen und des Internets insgesamt ist. Was ergibt also am meisten Sinn für das Ökosystem, um die Dinge offen, ehrlich und transparent zu halten? Das wird immer ein Vorteil sein. Ich denke, dass es im Moment ein einzigartiger Vorteil ist, das es ein wahnsinnig großes Verlangen der normalen Menschen in der Welt gibt, mehr Kontrolle über diese Erfahrung zu haben. Ich denke, der andere Vorteil, den wir in dieser Hinsicht haben, ist, dass wir standardmäßig Open Source sind. Alles, woran wir arbeiten, ist offengelegt.

Und was das in einer Zeit bewirkt, in der so viel mit der KI passiert, ist, dass es den Leuten die Möglichkeit, darauf weiter aufzubauen. Wenn diese Saat also von einem Ort ausgeht, an dem man wirklich an die Menschen denkt und nicht an den Profit, dann wird das, was sie entwickeln, mit Sicherheit an Wertigkeit gewinnen.

Du hast erwähnt, dass Mozilla ein offenes KI-System auf der Basis von Open-Source-Technologie entwickelt und auch einen Wettbewerb für die verantwortungsvolle KI-Entwicklung gestartet hat. Kannst du uns mitteilen, welche Unternehmen, Entwickler:innen etc. bereits daran teilhaben?

Speziell für den Wettbewerb suchen wir eigentlich keine großen Unternehmen. Um daran teilzunehmen, schauen wir uns in unserer Gemeinschaft und im breiteren Ökosystem um, um die Saat für Ideen zu finden, die tatsächlich etwas Energie brauchen. Das heißt, etwas Finanzierung, etwas Aufmerksamkeit, um in Gang zu kommen. Es geht also nicht unbedingt darum, mit Unternehmen A, B oder C zusammenzuarbeiten, sondern eher mit Entwickler:innen, Unternehmern, Leuten, die einfach eine andere Idee haben und etwas zu bieten haben, das sich nicht so ganz in die Möglichkeiten einreiht, die es heute schon gibt.

Wir haben allerdings ein Sprachmodell, das wir mit Nvidia entwickelt haben. Das ist speziell auf nicht-englische Sprachen ausgerichtet. Wir versuchen, die Sprachen, die in diese Modelle eingebaut werden, zu erweitern. Viele von ihnen konzentrieren sich auf Englisch im Besonderen und die wichtigsten westeuropäischen Sprachen. Aber wir arbeiten seit einiger Zeit an daran, andere Sprachen in ein Modell einzubinden, auf dem Unternehmen aufbauen können.

Das ist interessant. Denn das ist immer eine Barriere für diese KI-Systeme, auch in Deutschland, aber ebenso bezogen auf andere Sprachen.

Und es kommt immer darauf an, womit ein Sprachmodell trainiert wird, oder? Es ist also immer wichtig, ein breiteres Spektrum zu haben. Das ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal.

Mozilla CMO Lindsey O’Brien, © Mozilla
Mozilla CMO Lindsey O’Brien, © Mozilla

Der Firefox Browser ist eine ziemlich verbreitete Option für eine Menge User, besonders in Deutschland. Er steht jetzt wie schon zuvor natürlich in Konkurrenz zu Browsern wie Chrome und Edge, einem Browser, der jetzt viele KI-Tools integriert hat. Wird Firefox in Zukunft also auch mehr KI-Tools von Mozilla integrieren?

Das müssen wir! Wir müssen darüber nachdenken, wie wir alle unsere Produkte innovieren können, nicht nur Firefox, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Grund, warum die Leute Firefox wählen, ist, dass wir sehr protektiv sind, was ihre Daten angeht. Wir halten ihre Informationen privat, was ein wichtiger Aspekt für die Leute ist, aber es verliert an Kraft, wenn wir nicht mit dem Schritt halten, was alle anderen tun. Ich kann nicht über ein bestimmtes Projekt in diesem Bereich sprechen, aber ich kann sagen, dass wir unseren Fokus auf mehrere Entwicklungen in diesem Business-Bereich legen.

Eine andere Sache, die auch für den Browser wichtig sein könnte, ist die Akquisition von FakeSpot. Das ist eine spannende Sache, von der ich gelesen habe, denn aufgrund von Gen AI ist schon jetzt eine Menge Fake News im Umlauf sind. Gibt es bereits Features oder wird es in Zukunft Funktionen im Firefox Browser geben, die auf die FakeSpot-Funktionen zurückgehen und den Leuten helfen werden, sich mit mehr Vertrauen im Netz zu bewegen – gemäß dem Mozilla-Motto „Internet für Menschen“?

FakeSpot zielt offensichtlich darauf ab, ein Problem zu lösen, das viele Leute online haben. Wenn wir einkaufen, wissen wir nicht, was echt ist und was nicht. Und die Art und Weise, wie Menschen Dinge wie Bewertungen manipulieren – vor allem mithilfe von AI –, kann die Realität wirklich verzerren.

Aber wenn wir das Ganze globaler betrachten, soll ein Produkt wie Firefox den Leuten dabei helfen, im Internet mit mehr Vertrauen zu navigieren. Und die Einführung von einem Tool wie FakeSpot unterstreicht die Tatsache, dass wir glauben, dass ein Browser wirklich eine Meinung haben kann bezüglich der Frage: Was echt ist und was nicht? Der erste Bereich, in dem sich das zeigen wird, ist das Shopping. Aber du hast erwähnt, dass es viele andere Dinge in der Welt gibt, wie Content, Nachrichten, all diese Dinge, zu denen wir Fragen haben. Einige davon können definitiv im Browser gelöst werden.

Wenn man über ein Produkt wie Pocket nachdenkt, gibt uns dieses eine weitere Möglichkeit, eine Meinung zu vertreten. Etwa bezogen darauf, welche Art von Inhalten qualitativ hochwertig und vertrauenswürdig ist – und das ist nicht nur im Kontext von großen, riesigen Verlagen. Denn im Moment können alle Publisher sein, und es spielt keine Rolle, wie groß die Fangemeinde ist, denn das macht dich nicht glaubwürdiger. Was dich glaubwürdig macht, ist die Qualität deiner Inhalte. Wir können mithilfe von Pocket also hochwertige Inhalte hervorheben. Aber all das erfordert, dass wir eine Meinung haben. Und ich denke, das ist ein weiterer großer Unterschied bei Mozilla. Wir geben nicht vor, in diesen Dingen neutral zu sein. Ja, wir haben eine Meinung und wir teilen sie gerne mit, in unseren Produkten und laut.

Das ist interessant, denn im Rahmen der Veröffentlichung der Mastodon-Instanz hat Mozilla ja darauf hingewiesen, dass freie Meinungsäußerung auf anderen Platttformen oft mit einem Mangel an Moderation gleichgesetzt wird. Und ich denke, das ist ein Problem.

Ich meine, wenn wir uns unsere Mission ansehen, geht es nicht um einen Browser. Es geht um das Internet. Und im Moment haben so viele Menschen, die das Internet erleben, eine Vorliebe für soziale Medien, und die sind kaputt. Diese Systeme funktionieren im Moment nicht, und ich werde hier nicht sitzen und sagen, dass wir die Antwort, die Lösung haben. Aber wir sind Mozilla und werden uns dieser Sache definitiv auf die richtige Weise annähern. Und das erfordert, dass wir bei der Moderation von Inhalten eine ganz andere Haltung einnehmen, als wir es von Facebook oder Twitter kennen.

Es wird knifflig, aber ich denke, es ist von entscheidender Bedeutung. Ich bin begeistert, dass wir uns gerade jetzt auf diesen Bereich konzentrieren.

Und das ist auch wichtig für Leute, die gerne Werbung machen. So ist die FakeSpot-Integration ganz im Sinne von Mozillas Ziel, vertrauenswürdige Werbung im Digitalraum zu ermöglichen. Was würdest du dir von Advertisern hinsichtlich ihrer Anforderungen und Standards, was können sie verändern, um weniger personalisierte, aber mehr vertrauenswürdigere Werbung zu fördern? Ich denke, das ist derzeit eine der größten Herausforderungen.

Ja, das ist knifflig, oder? Es gibt im Moment keine eindeutige Antwort. Aber ich denke, die Realität ist, dass es einfach nicht funktioniert, wenn man überhaupt keine Personalisierung vornimmt. Das ergibt keinen Sinn mehr. Und das hat Mozilla für eine sehr lange Zeit getan. Keine Daten, nirgendwo. Aber wir sehen auch, dass diese Datenabschöpfung, die auf der anderen Seite auch stattfindet, ebenfalls nicht mehr funktioniert. Nicht nur, weil es immer mehr Vorschriften gibt, sondern auch, weil die Anforderungen der Verbraucher:innen und insbesondere der Generation Z sich verändert haben. Sie sind nicht mehr so tolerant gegenüber dem Unfug, der auf der anderen Seite passiert. Wir müssen also herausfinden, wie ein dritter oder neuer Weg aussehen kann. Also Werbung auf eine Art und Weise zu betreiben, die das Beste aus beiden Seiten herausholt.

Wie können wir als Marketer also wirklich über die Schaffung personalisierter Erlebnisse nachdenken, die Menschen ja erwarten? Und wir wollen nicht mehr nur zufälliges Rauschen. Das können wir nicht dulden. Wir müssen also herausfinden, wie wir personalisierte Erlebnisse schaffen können, was bedeutet, dass wir einige Daten nutzen müssen, ohne alle Daten zu verwenden. Man braucht nicht alle Daten, um etwas wirklich Relevantes und Interessantes für die Menschen zu schaffen. Und ich denke, für Marketer in unserer Branche ist es eine Gelegenheit, zu den Grundlagen zurückzukehren und wieder Geschichtenerzähler:innen zu sein. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Stärke der Produkte, die wir anbieten, und den Wert, den sie für die Menschen haben, auf authentische Weise nutzen können, ohne nur zu versuchen, kleine Datensets so aufzubereiten, dass Botschaften Produkte zum richtigen Zeitpunkt vor Menschen präsentieren zu stehen.

Ich denke also, es geht nicht um keine Daten oder alle Daten, es muss eine Art Mischung aus den besten Teilen dieser beiden Ansätze sein.

Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten No-Go-Faktoren bei der Datenerfassung durch Werbetreibende, denn es gibt offensichtlich eine Menge Intransparenz diesbezüglich?

Ich denke, es geht um die Idee des Wertetausches. Ich gebe Ihnen meine Daten, du gibst mir etwas zurück, und wir wissen beide, was wir geben und was wir bekommen. Ich denke, das No-Go ist, wenn Menschen dieses Vertrauen verletzen. Wenn du also zum Beispiel Daten für eine bestimmte Kampagne sammelt, ist das in Ordnung. Und die Leute verstehen, dass sie aufgrund von A, B und C angesprochen werden. Und Mozilla veröffentlicht bei jeder Kampagne die Targeting-Parameter für alles.

Aber wenn man anfängt, Daten von Kund:innen zu sammeln, mit dem Versprechen eines bestimmten Wertes in ihrem Produkt, aber sie dann für etwas anderes ausnutzt, dann überschreitet man die Grenze. Es ist also sehr wichtig, nur das zu sammeln, was man braucht, um das Versprechen zu erfüllen, das man jemandem gegeben hat. Ich glaube auch, dass für Werbetreibende im Allgemeinen diese Idee des übertriebenen Hyper Targetings mit wirklich minderwertiger Werbung so etwas wie das Ende der Fahnenstange erreicht hat. Die Leute haben es einfach satt, und wir alle sehen es jedes Mal, wenn wir durch diese schrecklichen Anzeigen scrollen, von denen wir wissen, dass sie auf der Grundlage von wirklich spezifischen Dingen über dich erstellt wurden. Und ich glaube, das wird die Leute wirklich verärgern, ehrlich gesagt.

Daten- und Werbesicherheit sind wichtiger denn je, das ist sicher ist unbestritten. Sie scheinen an mehreren Touchpoints jedoch bedroht zu sein. Nicht zuletzt auf sozialen Plattformen. Nun hat Mozilla zum Beispiel sich einer Mastodon-Instanz zugewandt, um auch am Fediverse teilzunehmen. So kann Mozilla die Konversation moderieren und die Regeln selbst festlegen. Steve Teixeira von Mozilla sagte, dass Social kaputt sei. Teilst du diese Ansicht?

Das tue ich. Auf jeden Fall. Wie bereits erwähnt. Ich denke, die meisten Leute, die soziale Netzwerke nutzen, teilen diese Ansicht. Ich glaube nicht, dass das eine provokante Sichtweise ist, aber ich glaube, das Problem ist, dass die Leute sich keine Alternative vorstellen können. Sie haben also das Gefühl, dass es keinen vergleichbaren Raum gibt.

Die Wahrheit über soziale Medien ist, dass sie nicht nur ein Ort sind, an dem man Bilder von seinem Essen oder seiner Katze teilt. Die Leute nutzen die sozialen Medien auch für wirklich wichtige Dinge. Ein Beispiel, das oft übersehen wird, ist, dass die Leute soziale Medien nutzen, um zu verstehen, was in einer Ausnahmesituation passiert. Wenn wir uns also in einer Situation befinden, in der die sozialen Medien durch so viele Inhalte von geringer Qualität oder diese viralen Dinge, die die Runde machen, oder diese schrecklichen Anzeigen, über die wir gerade sprechen, so belagert werden, gehen diese wirklich wichtigen Signale dazwischen verloren.

Und wir haben auf Twitter gesehen, dass etwa öffentlichen Dienste die Plattform verlassen, weil sie nicht mehr bekommen, was sie brauchen, um in diesem Bereich effektiv zu sein. Wenn man also aus der Perspektive der Menschen darüber nachdenkt, werden die Dinge, für die wir uns auf soziale Netzwerke verlassen, immer weniger zuverlässig. Aus der Perspektive der Werbetreibenden gibt es eine ähnliche, aber etwas andere Herausforderung: Wie kann ich mit gutem Gewissen auf einer Plattform eine Anzeige für Mozilla VPN schalten, bei der ich keine Ahnung habe, was darüber oder darunter zu sehen sein wird. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass meine Marke mit einigen der Dinge in Verbindung gebracht wird, die in diesen Bereichen passieren. Und ich glaube, vielen Marketern und Werbetreibenden geht es ähnlich.

Indem wir also zum Beispiel auf eine Mastodon-Instanz setzen, machen wir einen kleinen, aber wichtigen Anfang. Wir können wirklich beginnen, darüber nachzudenken, wie wir etwas anderes aufbauen können. Und weil wir Mozilla sind, sind die Anreize für uns, das zu tun, ganz anders als für die größeren Player. Und ich glaube, die Leute warten nur darauf. Tatsächlich weiß ich, dass sie es tun.

Allerdings bieten soziale Feeds und KI-gestützte Sucherfahrungen ja auch hochgradig personalisierte digitale Journeys, die viele Nutzer:innen schätzen. Meinst du also, dass sie Kompromisse eingehen müssen, um eine wirklich sichere Umgebung für ihre Daten zu haben?

Auf jeden Fall. Und ich werde noch einmal auf die Gen Z zurückkommen. Und was wir in der Forschung über die Generation erfahren haben, ist, dass sie online aufgewachsen sind, sie sind mit dieser personalisierten Erfahrung aufgewachsen, und es gibt eine Erwartungshaltung für solche Erfahrungen. Sie wollen keine vorgefertigte Erfahrung. Gleichzeitig gibt es aber auch ein Bedürfnis nach mehr Kontrolle.

Die Statistik, die ich sehr spannend finde und die ein interessantes Bild davon zeichnet, dass die Gen Z quasi mit zwei Mündern spricht, besagt: Die Generation Z nutzt eher Dinge wie einen VPN, Passwortschutz, einen Browser mit Datenschutzfunktionen wie Firefox. Aber sie sind auch eher bereit, Unternehmen die Nutzung von Ortungsdiensten zu gestatten oder sogar ihre Emotionen und ihre Gefühle mitzuteilen, wenn sie im Gegenzug etwas dafür bekommen. Deshalb müssen wir als Marketer diese Studiendaten betrachten und verstehen, dass wir uns weder für die eine noch für die andere Seite entscheiden können. Es gibt also tatsächlich einen neuen Marketing Space, der gerade erschlossen wird. Und nur so, nur in diesem, werden wir erfolgreich sein. Man kann sich inzwischen nicht mehr für die eine oder andere Seite entscheiden.


Wir bedanken uns herzlich bei Lindsey O’Brien und Mozilla für die Zeit und Insights.


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